Schichtleitung in Teilzeit
„Mein Arbeitgeber gab mir die Chance, als Teilzeitkraft in den Schichtdienst zurückzukehren. Das galt bis dahin als unmöglich." Stephanie Geerdes, Schichtführerin bei H & R
Flexible Arbeitszeitmodelle für flexible Lebensphasen

Die Vorreiterin: Schichtleitung in Teilzeit

Stephanie Geerdes ist Chemikantin. Sie hat sich nie groß Gedanken gemacht, ob es ein typischer Männerberuf ist oder nicht. In der Schule mochte sie die naturwissenschaftlichen Fächer: Mathematik, Chemie, Physik. Sie kombiniert Familie und Job, indem sie mit ihrem Arbeitgeber ein Teilzeitmodell für Schichtleiter umgesetzt hat.

Ihr Berufsberater griff kurzerhand zum Telefon, als sie ihm 1996 ihren Berufswunsch mitteilte, erinnert sich Geerdes. Er rief bei einer Raffinerie im südlichen Emsland an und fragte nach, ob Frauen überhaupt eine Ausbildung zur Chemikantin machen könnten. Sie konnten. Also bewarb sie sich und wurde von der H&R ChemPharm GmbH in Salzbergen, einer der ältesten und zugleich modernsten Spezialraffinerien weltweit, als Auszubildende eingestellt.

Die Raffinerie gehört zum börsennotierten H&R GmbH & Co. KGaA, welche mit einem Jahresumsatz von ungefähr einer Milliarde Euro zu den führenden Spezialchemieunternehmen in Europa zählt und weltweit mehr als 1.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.

„Ich war eine von vier neuen Azubis“, so Geerdes. Natürlich die einzige Frau. Auch in ihrer Berufsschulklasse war sie allein unter Männern. „Ich war aber nicht die erste Auszubildende Chemikantin in Salzbergen“, betont Geerdes: „Bereits vor mir hatte eine Kollegin angefangen.“ Heute seien immerhin fünf Chemikantinnen in der Raffinerie beschäftigt. Die Auszubildenden nicht mitgerechnet.

Mit guten Leistungen überzeugen

Aufgrund ihrer sehr guten Leistungen konnte Geerdes ihre Ausbildung bereits nach drei statt der erforderlichen 3 ½ Jahren Lehrzeit beenden. Seitdem arbeitet sie im Schichtdienst in der Hydrierenden Raffination. Das ist ein Anlagenkomplex, in dem unter Einsatz von Wasserstoff, Katalysatoren und hohem Druck aus Grundölen technische und medizinsche Weißöle und Paraffine hergestellt werden. Die Chemikanten sorgen für den reibungslosen Ablauf in den Anlagen. Je nach Funktion steuern, warten, kontrollieren sie die Maschinen, Kompressoren und Armaturen, ziehen Proben und überwachen das Tanklager.

Der Schichtdienst in Salzbergen ist klar geregelt: Anfänger beginnen als Pumper. Mit einigen Jahren Berufserfahrung und der entsprechenden theoretischen Qualifikation arbeiten sich die Chemikanten hoch zum Maschinisten und schließlich zum Schichtführer.

Erst Vollzeit, dann Teilzeit - aber wie? 

Geerdes ist bereits seit über zehn Jahren Schichtführer. „Ich habe direkt nach meiner Ausbildung mit meiner Weiterbildung begonnen und berufsbegleitend meinen Meister gemacht“, führt die 36-jährige aus. Die Arbeit mache ihr einfach Spaß. So sehr, dass sie nach der Geburt ihres ersten Sohnes nach Mutterschutz und Elternzeit wieder voll eingestiegen ist. Da ihr Mann auch im Schichtdienst tätig sei, sei die Koordination von Familien- und Arbeitszeiten eine echte Herausforderung gewesen, erklärt die Chemikantin rückblickend. Als sie dann zwei Jahre später erneut Mutter wurde – diesmal von Zwillingen, war klar: beide voll berufstätig würde nicht länger funktionieren.

Vorgesetzte und Mitarbeiter profitieren von neuem Teilzeitsystem

Geerdes ging in die Offensive und suchte das Gespräch mit dem Arbeitgeber. Sie wollte gerne wieder arbeiten, allerdings in Teilzeit. Das gab es bis dato in der Raffinerie nicht. „Meine Vorgesetzten hatten vollstes Verständnis für die Situation und haben mir diesen Schritt ermöglicht“, sagt Geerdes dankbar. Zunächst war das Modell für ein Jahr befristet. „Wir wussten ja nicht, ob es funktionieren würde“, erläutert sie weiter. Auch einige Kollegen seien anfangs skeptisch gewesen. „Das konnte ich in gewisser Weise sogar nachvollziehen, schließlich arbeiten wir in einem sicherheitssensiblen Bereich.“ Da müsse sich jeder jederzeit auf den anderen verlassen können. Doch die Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Mittlerweile arbeitet Geerdes seit fünf Jahren in Teilzeit. „Derzeit bin ich noch die einzige, aber die Möglichkeit besteht grundsätzlich für alle Schichtdienstmitarbeiter“, führt sie aus. Die Kollegen profitieren sogar direkt von ihrem Arbeitszeitmodell. Da sie als Springer arbeitet, das heißt, keiner Schicht direkt eingeteilt ist, kann sie die einzelnen Schichtgruppen entlasten und einspringen, wenn Not am Mann ist.

Eine Frau unter Männern - warum auch nicht?

Auf die Frage, ob sie das Gefühl habe sich als Frau für den Beruf rechtfertigen zu müssen, muss sie nicht lange überlegen. Nein, keinesfalls! Das liege aber auch daran, dass viele gar nicht wüssten, was eine Chemikantin genau mache. Da ergehe es ihr wie ihren männlichen Kollegen, schmunzelt Geerdes: „Als Chemikanten müssen wir immer erklären, was wir tun, da unsere Aufgaben und Verantwortungsbereiche so komplex sind.“