Simon Meyborg, vertraut auf die Brennerei Rosche im Emsland für seinen Edelkorn
„Mit einem eigenen Korn Familie und Herkunft ein Denkmal setzen.“ Simon Meyborg, vertraut auf die Brennerei Rosche im Emsland für seinen Edelkorn
Simon Meyborg vertreibt seinen eigenen Korn – Ein Lehrstück in Sachen Markenaufbau

Ein Korn, der seinen Namen trägt

Simon Meyborg wollte etwas anderes ausprobieren. Etwas Physisches. Zum Anfassen. Zum Genießen. Auf digitaler Ebene hatte der Entwickler sich ordentlich ausgetobt in den letzten Jahren. Das Thema war durchgespielt. Der Endgegner hieß: Korn.

Meyborg ist 36 Jahre alt und groß gewachsen. Wenn er sich vor seinem VW Caddy mit dem Slogan „Das Parfüm des Nordens“ aufstellt und strahlt, merkt man ihm den Stolz auf sein Produkt an. Es ist ein professioneller Stolz, gemischt mit kindlicher Freude darüber, in kurzer Zeit aus dem Nichts seine eigene Spirituose erschaffen zu haben. Einen Korn, der seinen Namen trägt: Meyborg.

Angefangen hatte alles im Frühjahr 2016. Meyborg arbeitete als Technischer Leiter im Innovationslabor des Verlags Gruner+Jahr in Hamburg. Als Programmierer entwickelte er Ideen, baute Prototypen und testete sie. Und nach Feierabend kümmerte er sich um eigene Projekte – wie eine Börse für Schweine, über die Landwirte ihre Tiere ohne Zwischenhändler an Schlachter verkaufen können. „Der Kopf bleibt ja nicht stehen“, sagt Meyborg. Nach der Arbeit, an Wochenenden wälzte er Ideen hin und her, probierte, programmierte. „Irgendwann hatte ich aber das Gefühl, alles ausprobiert zu haben. Ich hatte keinen Bock mehr auf das nächste digitale Ding“, erinnert er sich. Und als Flucht aus dieser Orientierungslosigkeit bot sich Alkohol an.

Die Sehnsucht nach der Heimat – und Geschichten rund um Korn

Simon Meyborg kam 1981 in Löningen zur Welt und wuchs in Lindern im Landkreis Cloppenburg auf dem elterlichen Hof auf. Dort packte er mit an. Molk Kühe. Oder reparierte Videorekorder, bastelte an Computern herum. Lindern hat knapp 5000 Einwohner und ist nur 32 Kilometer von Haselünne im Emsland entfernt, dem Mekka des Korns. Auf Familienfeiern und Schützenfesten in Meyborgs Jugend machte der Getreidebrand die Runde, als „FaKo“, also gemischt mit Fanta, oder pur als „Klarer“.

In seinem Hamburger Exil blickte Meyborg wehmütig auf seine Heimat zurück, auf seine fünf Brüder, die in der Nähe geblieben sind. Er entschied sich, mit einem eigenen Korn, in der Heimat produziert und von Hamburg aus vermarktet, Familie und Herkunft ein Denkmal zu setzen. Das Ziel: „Schaffe ich es, meinen Korn in meiner Lieblingsbar in Hamburg zu trinken?“ Er selbst nennt das – und entschuldigt sich gleich für das Wortspiel – eine „Schnapsidee“.

Eine klare Idee trotz vieler Fragen

Die Voraussetzungen, ein Produkt auf die Beine zu stellen, brachte er mit: Selbstständig hatte Meyborg ohnehin immer gearbeitet. Aber einen eigenen Korn? Wer sollte den brennen? Woher kommen die Flaschen? Und wie hoch ist eigentlich die Branntweinsteuer? Ganz von diesen eher elementaren Fragen abgesehen: Wenn der Korn erst in der Flasche ist, wie soll dafür geworben werden – ohne Budget? Ganz neue Fragen an jemanden, der bislang nur einen Laptop für die Arbeit benötigte.

Mit der Idee, Korn zu einem Revival zu verhelfen, wie es Whiskey, Wodka oder jüngst Gin erlebten, steht Meyborg nicht allein da: Der Brand genießt seit Jahren einen eher zweifelhaften Ruf. „Immer wenn ich traurig bin, trink ich einen Korn“, sang Heinz Erhardt schon 1970. Einige Produzenten, besonders jüngere, wollen dieses Bild ändern. Hin und wieder liest man von einem Kornhype, den Simon Meyborg allerdings noch nicht erkennen kann.

Ein Revival für guten Korn von echten Profis

Anders als mancher Neukornproduzent hat Meyborg nicht geplant, sich einen Brennkessel in den Keller zu stellen. Das wollte er Profis überlassen. Beim Korn gibt es ohnehin nicht viel zu experimentieren: Er muss aus Weizen, Gerste, Hafer, Roggen oder Buchweizen hergestellt werden und mindestens 32 Prozent Alkohol enthalten. Zugabe von Aromen ist nicht erlaubt. Was Meyborg zunächst beschäftigte, war die Flasche. Vor seinem geistigen Auge sah er sie vor sich: mit Kanten, denn die meisten Kornflaschen sind eher rund. Und schwer in der Hand soll sie liegen – damit die Wertigkeit schon beim ersten Griff erkannt wird. Auch für das Etikett hatte er schon Ideen und besprach sie mit einem Freund, der Designer ist.

Nach längerer Internetrecherche hatte Meyborg seine Traumflasche in Italien gefunden: kantig, mit massivem Boden, einem schmalen Hals und leicht abfallenden Schultern. Das erste Etikett druckte er selbst, darauf waren drei Ähren zu erkennen und der Name des Getränks: Meyborg. Seine Familie hat er nie um Erlaubnis gefragt, doch übel genommen hat es ihm wohl niemand.

Wenn ein Macher mit einem Prototypen loszieht

Ein Kornproduzent, der als Erstes die Verpackung angeht, bevor er sich an das Getränk macht? In Meyborgs Fall hatte diese Reihenfolge durchaus einen Sinn: Mit einem Prototyp in der Hand, gefüllt mit günstigem Korn aus dem Supermarkt, könnte er in Hamburger Bars vorstellig werden und fragen: „Wenn ich mit so was um die Ecke komme, würdet ihr das hinter die Theke stellen?“ Überwiegend antworteten die Barbesitzer positiv.

Dann ging es um den ersten Kontakt zur Brennerei. Auch in Haselünne war sein Prototyp ein Türöffner: „Wie viele vor mir haben da einfach angeklopft und gesagt: ,Das habe ich vor ...‘. Ich würde gern erst mal was vorlegen.“ Und Meyborg zeigte nicht nur seine Flasche samt Etikett, sondern auch seine Webseite, mit Fotos des Prototyps und Rezepten. Für den Entwickler ein Klacks. So sahen die Chefs der Brennereien Rosche und Heydt, dass es der Informatiker aus der Hamburger Verlagswelt ernst meinte mit seiner Idee.

Der beste Korn kommt aus dem Emsland

In Meyborgs Heimat ist man sich einig: „Wenn du einen guten Korn anbieten willst, muss er von Rosche kommen!“ Den Ausschlag gaben jedoch die Freunde aus Hamburg, „die keine klassischen Korntrinker sind“, wie Meyborg sagt. Bei einer Blindverkostung schnitten zwei Rosche-Kornbrände am besten ab, und so kamen der Hamburger Informatiker und der Haselünner Edelkornproduzent ins Geschäft. Im November 2016, knapp neun Monate nachdem ihm die Idee gekommen war, wurden 250 Flaschen befüllt. Für Rosche ist das nicht die Welt, aber von dem Imagegewinn des Korns durch Meyborgs Marketing sollte er ebenso profitieren.

Dem Gang des Korns lauschen

Doch wie wirbt ein Neuling in der Kornszene für sein Produkt? Mitten in der Entwicklung seiner Idee hatte Meyborg einen Geistesblitz: Der Podcast-Fan produzierte seine eigene Sendung. Zehn Folgen lang erzählte er vom Werdegang des Korns, von der ersten Idee bis zum Weihnachtsverkauf über seine Webseite. Dass die 250 Flaschen der ersten Charge nach zweieinhalb Stunden ausverkauft waren, lag auch daran, dass schätzungsweise 3.000 bis 4.000 Hörer regelmäßig Meyborgs Stimme im Netz lauschten.

Die Produktion der Onlineerzählung zahlte sich zwar aus, gestaltete sich jedoch als eigenes aufwendiges Nebenprojekt mitten in der Kornproduktion: Er schrieb die Texte, sprach sie ein, und sogar die Titelmelodie komponierte Meyborg selbst. Sein beruflicher Werdegang hätte ihn auch ins Regiefach zum Film führen können: Der Mann hat etwas zu erzählen, und er berichtet witzig, ehrlich und spannend von seinem Projekt.

Korn als erfolgreiche Geschäftsidee?

Gut 2.000 Flaschen Korn hat er verkauft. Vor allem im Internet, über seine Webseite oder Amazon. Aber auch an Bars und den Einzelhandel – und Mutter Meyborg verkauft eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Flaschen in Lindern. Reich wird man damit nicht. Aber das ist auch nicht Meyborgs Antrieb. Korn ist sein Hobby. Mittlerweile hat er den Job gewechselt, sich selbstständig gemacht: Vier Tage in der Woche kümmert er sich um den Onlinevertrieb von Gemüsekisten. Einen Tag geht es um den Korn.

Was soll aus „Meyborg“ noch werden? In 27 Bars von Hamburg bis Zürich wird der Klare aus Hamburg/Haselünne schon angeboten. In Onlineshops kostet die 0,7-Liter-Flasche knapp 30 Euro. „Der erste Schritt war einfach“, sagt Meyborg, „aber bestellen die Kunden auch nach?“ Mit einem automatisierten Onlinevertriebssystem sollen der Bestellprozess vereinfacht und neue Bars angesprochen werden. Irgendwann ist vielleicht Geld für Marketing, Paketpacker oder die Standgebühr bei einer Messe drin. „Es ist ein schönes Hobby und macht Spaß. Sollte es auf dem Niveau weitergehen, macht das nichts.“ Wer kippt schon ein Denkmal an seine Heimat?