Kloatscheeten oder Boßeln ist im Emsland eine ernste Angelegenheit. Zumindest beginnen diese Touren mit generalstabsmäßiger Planung. Manche Truppen kommen im Verlauf aber doch “vom Patt ab”, wie man hier sagt. Eine Einführung in die emsländische Tradition.
Vom Kloatscheeten und Boßeln

Was machen die da eigentlich?

Im Winter wird es mitunter eng auf emsländischen Straßen. Ortskundige Autofahrer meiden nach Möglichkeit die Strecken, auf denen Karawanen von Kloatscheetern oder Boßlern über die Felder ziehen. Bewaffnet sind sie mit bleibeschwerten Kugeln, einer Eisenharke und hochprozentigem Alkohol. Ihr Schlachtschiff ist ein prall gefüllter Bollerwagen - oft selbst zusammengezimmert und mit leistungsstarken Musikboxen ausgemotzt.

Aber alles der Reihe nach. Erfunden haben die Emsländer diese Tradition nicht. Es waren die alten Friesen, die mit Erdklumpen aus ihren schweren Marschböden, den so genannten Kloots, auf Gegner oder gar Schiffe zielten. Vermutlich im 17. Jahrhundert machten sich ein paar Deichbauern auf, um aus reinem Spaß an der Freude diese Kloots vor sich her zu schmeißen. Das neue Freizeitvergnügen wurde schnell zum Kräftemessen rivalisierender Dörfer genutzt - mündete aber nicht selten in einer Schlägerei. Im 19. Jahrhundert stellte man erstmals klare Regeln auf und das Klootscheeten etablierte sich zum Sport, der noch heute in vielen Vereinen und Verbänden betrieben wird. Dann aber auf eigens gebauten und geeigneten Bahnen.

Die Samstags-Hobbytruppen sind eher auf holprigen Wegen unterwegs. Im Emsland spielt man nicht mit runden Boßelkugeln, sondern mit abgerundeten Scheiben. Diese bunten Kunststoffkloats mit Bleikern kann man zur Saison in vielen Garten- oder Getränkemärkten für ein paar Euro erwerben. Die etwa fünf Zentimeter dicken farbigen Geschosse wiegen knapp ein Pfund. Was macht man nun damit? Mit einer schwungvollen Unterschulterwurftechnik wie beim Kegeln wird die verbleite Scheibe so weit wie möglich über die Straße gerollt. Dort, wo das Katapult zum liegen kommt, darf der nächste Teamspieler weiter werfen. Gespielt wird nämlich in zwei Teams. Wer am Ende mit seinen etwa fünf bis acht Kollegen am weitesten gekommen ist, hat gewonnen. Soviel zur Theorie. In der Praxis läuft das ganze meist etwas chaotischer ab. Obwohl doch alles generalstabsmäßig geplant war.

Schon im Herbst fixieren die Cliquen, Nachbarschaften oder Kegelclubs einen Boßeltermin. Randnotiz: Der Begriff Boßeln hat sich im Emsland gehalten, obwohl hier im strengen Sinne im Hinblick auf das Wurfgerät vom Kloatscheeten gesprochen werden muss. Unsere Truppe braucht jetzt als erstes einen Kneipentermin, denn nach der Runde über die Felder, wird zusammen gegessen - und natürlich weiter getrunken. Viele Gaststätten organisieren eigene Boßelpartys mit Buffet und DJ - manchmal sogar zum Festpreis. Da die Gäste nicht immer völlig nüchtern einkehren und statt an der Theke frisches Bier zu bestellen, sich noch einige Zeit mit der Wegzehrung aus dem Bollerwagen beschäftigen, sind die Kloatscheeter nicht überall gern gesehene Gäste. Infolgedessen bieten immer weniger Gastronomen diese Veranstaltungen an und unsere Boßelclique bucht schon früh einen festen Platz beim Wirt. Ohnehin haben alteingespielte Truppen ihre Termine parat. Beispielsweise immer am zweiten Samstag im Februar.

Dann treffen sie sich zwischen 14 und 15 Uhr irgendwo an einer Weggabelung, die auf die Felder führt. Ihren Bollerwagen haben sie bereits hierher befördert. Einige Gastwirte stellen solche Wägen, viele Cliquen besitzen eigene oder leihen sich einen aus der Nachbarschaft. Die meisten Wägen sind selbst gezimmert und mit aufwendigen Holzaufbauten, Getränkebuchten für Bierflaschen, Fächern für Pinnchen und Kronkorkensammlern ausgestattet. Begegnen sich Boßeltruppen, werden die Bollerwagen gern gegenseitig begutachtet.  

Was gehört auf den Bollerwagen?

Was gehört auf einen Bollerwagen? Die Basis bildet das Bier. Vorzugsweise in Kisten. Zum Zapfen ist es zu kalt. Zum Wärmen nehmen viele Kaffee oder Glühwein mit. Zur allgemeinen Stärkung und Bindung des Alkohols im Körper gibt es Käsewürfel, Wurst und Brötchen. Was genauso wenig wie die Tüte für den Müll fehlen darf, ist ein Radio. Je nach Truppe laufen hier die Fußballkonferenz der Bundesliga oder Beats aus der Bluetoothbox. Das Wichtigste ist aber der Kurze. Hochprozentige Spirituosen oder leichtere Liköre werden auf dem Gang durch die Natur verschwenderisch verzehrt. Oftmals schon am Treffpunkt. Denn hier müssen zunächst die Teams gebildet werden. Per Losverfahren. Jeder zieht aus einer Tüte blind eine Nummer. Die steckt er sich ans Revers oder bindet sie um den Hals. Auf jeden Fall muss sie gut sichtbar sein. Trotzdem herrscht in jeder Truppe regelmäßig Verwirrung. Immer lauter hört man die Rufe: “Wer hat die rote Zwei?” oder “Die blaue Vier ist dran. Wo ist die blaue Vier?” Die Konzentration ist beim Kloatscheeten nicht besonders hoch.

Was aber niemals vergessen wird, ist die obligatorische Runde Kurzen nach jedem Spieldurchgang. Der Verlierer schenkt einen aus, heißt es dann. Unabhängig davon, welches Team am Ende die meisten Runden für sich entscheiden konnte, muss am Ende der Boßelkönig, die -königin gekürt werden. Dazu wickelt man eine leere Flasche (wegen der Physik am besten mit geschlossenem Deckel) in eine Plastiktüte und stellt sie geschickterweise vor eine Mauer. Wer aus der gewählten - und mit jedem erfolglosen Durchgang immer kürzer werdenden - Entfernung die Flasche als erstes zerschlägt, bekommt eine Krone oder Plakette. Die Ehrenträger werden später auf der Boßelparty meist noch proklamiert und zum Ehrentanz aufgefordert. Das Ganze geschieht gemütlich nach dem Essen. Die Vitamine des Grünkohls und die tierischen Fette der Wurst haben unserer durchgefrorenen und angetrunkenen Truppe inzwischen wieder auf die Beine geholfen. Und so erinnert sich später auch noch jeder daran, wer den Wurf vor dem Königsschuss getätigt hat. Denn derjenige muss das Klaotscheeten im kommenden Jahr vorbereiten. Tisch ist schon bestellt. Halb drei geht´s wieder los.