Das größte zusammenhängende Hochmoor Mitteleuropas liegt zu einem großen Teil im Emsland. Dieser riesige CO2-Speicher ist ein einzigartiger Lebensraum und ein faszinierendes Ausflugsziel.
Das Moor: Vom Gruselort zum Wanderparadies

Wo van Gogh einst malte

Diesen Leuten ist fürwahr der Kampf ums Dasein schwer genug gemacht, schrieb der Maler Fritz Oberbeck über den Torfbauern: “Er kennt nicht den Wechsel zwischen Hoffnung und Furcht, ob die Ernte gerate, nicht die Freude am Wachsen, Gedeihen und endlichen Reifen der Saaten, nur damit beschäftigt, die Notdurft des Lebens zu stillen lernt er dessen edlere Genüsse niemals kennen.”

Ja, die Arbeit der Torfbauern war eintönig und hart. Die ersten Siedler hausten in fensterlosen, feuchten Hütten aus Birkenstämmen. Um sie herum wuchs nichts. Nur den Torf konnten die Bauern dem schweren Boden abgewinnen und verbrennen. Der einzige Brennstoff. Bäume gab es nur wenige. Mit ihren Spaten schufen die Emsländer ein Landschaftsmosaik, um ihre Existenz halbwegs zu sichern. Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not und dem dritten das Brot, sagte man. Man versuchte, den nassen Boden durch Abbrennen zu entwässern. Dicker Qualm zog über weite Teile des Landes bis in den hohen Norden.

Gebracht hat es nichts. Erst die riesigen Pflüge, die in den Wirtschaftswunderjahren hier anrückten, machten den Boden fruchtbar. Das Ottomeyer-Modell Mammut ist bis heute der weltweit größte jemals gebaute Tiefpflug. Vier Dampflokomobile zogen das Monstrum bis zu 18 Stunden am Tag über die karge Erde. Heute steht er im europaweit größten Moormuseum in Geeste an der A31.

Der Naturpark Moor erstreckt sich über das Emsland, die Grafschaft Bentheim und die niederländische Provinz Drenthe. Vincent van Gogh malte hier Ende des 19. Jahrhunderts drei Monate lang. Das Gasthaus von Hendrik Scholte in Nieuw-Amsterdam ist das einzige öffentlich zugängliche Gebäude in den Niederlanden, in dem Van Gogh lebte und arbeitete. Wander- und Fahrradrouten zeigen heute, wo und wie sich van Gogh von der Landschaft inspirieren ließ.

Naturschutz und Klimaschatz

Ursprünglich, geheimnisvoll, schaurig und schön: Das Moor ist alles andere als eintönig. Hier gibt es den bizarren Sonnentau, üppiges Pfeifengras, leuchtende Glockenheide und zur Laichzeit sogar blaue Frösche. Die Natur hat sich das Moor zurückerobert. Seit gut drei Jahrzehnten werden nämlich weite Teile wiedervernässt. Die ausgedehnten Wasserflächen werden von vielen Vogelarten inzwischen fleißig als Rast- und Brutplätze genutzt. Nur einen Millimeter wächst das Moor pro Jahr. Die Moose sinken dabei in die Tiefe ohne zu verrotten. Millionen Tonnen CO² werden so gespeichert.

Das Moor ist ein ganz großer Klimaschatz. Moore wirken als Hochwasserschutz, speichern neben Wasser klimaschädliches Methangas und bis zu 30 Prozent der gesamten Kohlenstoffvorräte. Und das, obwohl sie nur drei Prozent des globalen Festlandes umfassen. Bei der Renaturierung helfen heute Schafe und auch Bullen. Sie fressen die aufschlagenden Birken und Büsche, die dem Moor Wasser entziehen und dadurch seine Neubildung verhindern. Die Tiere brauchen viel Masse, um von dem nährstoffarmen Angebot satt zu werden, sind mit ihren Hufen allerdings bestens ausgestattet für die matschige Torfweide.

Begehrtes Land

Nach dem Krieg flüchten rund 150.000 Menschen aus den Ostgebieten ins Emsland - in ein Ödland mit kaum Arbeit, wenig Wohnraum, rudimentärer Infrastruktur. Der Bundestag beschließt 1950, die Rückständigkeit des Emslandes zu beseitigen. Der Emsland-Plan wird vom Marshall-Plan unterstützt und aus dem Armenhaus wird eine Boom-Region. Eine eigene GmbH setzt die Kultivierung des Ödlandes, die Flurbereinigung, den Aufbau eines Verkehrswesens und die Anbindung an das Stromnetz um.

Ganze Dörfer werden am Reißbrett entworfen. Es entstehen rund 1.250 Neusiedlerhöfe und etwa 5.000 Nebenerwerbsstellen. Die Flächen sind begehrt. Anwerber kommen auch von außerhalb. Oft entscheidet ein Losverfahren. Dafür wird auf einem Acker auch schon mal eine Münze geworfen.

Moor in Flammen

Im emsländischen Moor befindet sich auch der größte Schieß- und Erprobungsplatz Mitteleuropas. Die „Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition“, kurz: „WTD 91“ in der Tinner Dose sorgte 2018 für internationales Aufsehen. Sogar die New York Times berichtete über den Brand, den die Rakete eines Kampfhubschraubers im entwässerten Moor auslöste. Fünf Wochen brennt das Land.

Zwölf Quadratkilometer Flora und Fauna wurden vernichtet. Bis zu 1.600 Männer und Frauen von Bundes- und Feuerwehr sowie dem Technischen Hilfswerk kämpften sich durch dicke Rauchschwaden. Das Feuer fraß sich wochenlang in untere Schichten und Hohlräume.

Der rote tote Franz

Bernard Herbers war zusammen mit seiner zehnjährigen Schwester dabei Torf zu stechen, als sein Spaten auf den Leichnam stieß. Am 8. Juni 1900 wird der Rote Franz entdeckt: stattliche 1,80 Meter groß gewachsen, gute 25 Jahre alt, die Haare vom Moor rot gefärbt, die Kehle durchtrennt. Die Emsländer begraben die Leiche vor den Friedhofsmauern in Wesuwe. Der unbekannte Tote bekommt zwar keinen geweihten Boden, aber einen Sarg.

Erst fünf Monate später wird der historische Fund auf Drängen Provinzialmuseums nach Hannover überstellt. Dort bescheinigte man dem Mann kräftige Hüft- und Oberschenkelmuskeln, die vermuten lassen, dass der erfahrene Reiter zu Pferd gekämpft hatte. Er wurde mit einem Schnitt durch die Kehle getötet. Bevor er im Moor mumifizierte, müssen ihm Tiere beide Ohren abgefressen haben. Der Todeszeitpunkt wird zwischen 135 und 385 nach Christus datiert. 

Gedenkstätte erinnert an Moorsoldaten

Rund 80.000 KZ-Häftlinge und bis zu 180.000 Kriegsgefangene hatten die Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit ins Emsland abkommandiert, 30.000 verloren dabei ihr Leben. Auf ihren Märschen zum Moor hörte man sie das Lied der Moorsoldaten singen. Die Moorkultivierung war ein vorgeschobenes Motiv. 15 Emslandlager wurden in nur wenigen Wochen aus dem Boden gestampft.

Die „Hölle im Moor“ verschwand nach dem Krieg wie vom Erdboden. Große, rostüberzogene Stahlplatten kennzeichnen heute markante Punkte wie Lagermauern, Wachtürme und Tore. Wo einst die Baracken für jeweils mehr als 100 Gefangene standen, wachsen Bäume. Ein Rundweg führt Besucher heute durch die Gedenkstätte Esterwegen. Im Mittelpunkt der zwölf Stationen stehen die 480 Meter lange Lagerstraße und eine umfangreiche Dauerausstellung mit Schautafeln, Originalfotos und Zitaten ehemaliger Häftlinge. 

Neue Wege

Das Emsland ist zwar keine keine typische Wanderregion. Im Naturpark Bourtanger Moor-Veenland gibt es ein Wanderknotenpunktnetz, das die Flachwanderer auf rund 400 Kilometern zu den schönsten Stellen der faszinierenden Naturräume beiderseits der deutsch-niederländischen Grenze bringt. Und die sind überraschend bunt.